Die ersten Veröffentlichungen über eine ungewöhnliche Erkrankung stammten aus dem Jahre 1981, als über 5 ungeklärte Fälle von Lungenentzündungen und 26 Fälle sehr seltener Hautveränderungen bei zuvor gesunden Homosexuellen in New York und Los Angeles berichtet wurde. Innerhalb weniger Monaten häuften sich die Beobachtungen ähnlicher Krankheitsbilder bei Drogenabhängigen, Blutern und Empfängern von Blutkonserven. Genauere Untersuchungen in anderen Erdteilen lenkten schnell den Verdacht auf eine sexuell und mittels Blut übertragbare Erkrankung. 1983 gelang erstmals die Isolierung eines Virus bei einem Patienten, der an den bekannten Symptomen litt.
In der Zwischenzeit gibt es keinen Zweig der Medizin oder eine Erkrankung, bei der der Wissenszuwachs größer war.
Eigenschaften des HIV-Virus und Wirkung auf das Immunsystem
Um einen Einblick in die Ausbreitung und die therapeutischen Schwierigkeit zu gewinnen, sollte man sich die Besonderheiten dieses Virus etwas vor Augen halten. Viren sind Krankheitserreger, die anders als Bakterien nicht in der Lage sind, sich ohne den Befall einer Wirtszelle zu vermehren. Dies gilt u.a. für die verbreitesten Viren, die Grippeviren. Die Welt der Viren ist uneinheitlich. So existiert eine natürliche Vielfalt großer und kleiner, aggressiver und weniger schädlicher, einfacher und komplizierter aufgebauter Arten. Die Einteilung und Klassifikation der Viren ist ständig im Fluss und muss immer wieder erneuert werden. Allen Viren ist jedoch gemeinsam, daß sie nur mit Hilfe der befallenen Wirtszelle gedeihen können und ohne sie relativ rasch zugrunde gehen. Im Gegensatz zu Bakterien besitzen Viren keinen eigenen Stoffwechsel und sind auf die chemischen Bausteine und die Energie der Wirtszellen angewiesen. Der Aufbau eines Virus ist relativ einfach: Im Grund bestehen die meisten nur aus einem relativ kurzen Stück DNA (Erbsubstanz). Bei vielen Viren ist dieses Erbgut noch von einer Kapsel, bei einigen, z. B. auch bei HIV, von einer weiteren sogenannten Hülle umgeben. Gegen viele dieser Virusbestandteile bildet das menschliche Immunsystem Antikörper (Abwehrstoffe), was man sich bei der Diagnostik der Erkrankung zunutze macht. HIV-positiv zu sein bedeutet, dass man Antikörper gegen ein oder mehrere Virusbestandteile im Blut nachweisen kann.
Die wichtigste Eigenschaft von HIV besteht in der Fähigkeit, einen zentralen Mechanismus in der Immunantwort des menschlichen Körpers zu blockieren. Dies geschieht über den Befall von sog. CD-4-positiven Zellen (CD=Oberflächenmarker). HIV benötigt dabei diese Oberflächenstrukturen, um an die Zielzellen anzudocken und diese zu infizieren. Das Besondere an der Erkrankung liegt also darin, dass sich das Virus die Helferzellen, die für die Koordination des Immunsystems eine entscheidende Aufgabe übernehmen, schnappt und damit die Zellen, die bei der Abwehr von Krankheitserregern eine Hauptrolle spielen. CD4-Rezeptoren besitzen jedoch nicht nur die Helferzellen, sondern auch andere Zellen des Immunsystems wie Fresszellen oder bestimmte Nervenzellen. Letzteres ist auch ein Grund, warum es im Verlauf einer HIV-Infektion häufig auch zu neurologischen Störungen kommt.
Der entscheidende Grund, warum es dem sonst so effektiven menschlichen Immunsystem nicht gelingt, HIV auf Dauer wirksam zu bekämpfen, ist jedoch die Wandlungsfähigkeit des HIV-Virus. So entstehen durch die enorm hohen Vermehrungsraten von HIV immer neue Varianten (Mutanten), die sich mehr oder weniger voneinander unterscheiden. Grund hierfür sind Fehler bei der Übertragung des Erbgutes auf die Nachkommenschaft. Dadurch muss sich das menschliche Immunsystem immer wieder auf neue “Gegner” einstellen. Zwar gelingt das dem Immunsystem über einige Jahre, aber eben nicht ein Leben lang. Auf Dauer ist das Immunsystem mit den immer wieder veränderten Viren überfordert und es kommt zu einem allmählichen Verlust der CD-4-positiven Zellen und schließlich zur Immunschwäche AIDS. Die Patienten erkranken in dieser Phase als Zeichen des nicht mehr ausreichend funktionierenden Immunsystems an einer Reihe von sehr selten vorkommenden Infektionskrankheiten, an denen die meisten auch versterben. So erkranken und versterben viele Patienten an Erregern, mit denen jeder Mensch besiedelt ist ohne zu erkranken.
Verlauf und Phasen der HIV-Infektion
Obwohl die HIV-Infektion generell chronisch verläuft, sind individuell doch erhebliche Unterschiede zu beobachten. Zu betonen ist, dass es bei HIV-Infizierten im Durchschnitt erst nach etwa 9-10 Jahren zu AIDS-definierenden Erkrankungen kommt.
Wenige Tage bis Wochen im Anschlussan die Übertragung von HIV entwickeln viele Patienten eine “akute HIV-Krankheit”, die meist mit vorübergehenden Lymphknotenschwellungen oder Grippe-ähnlichen Symptomen einhergeht. Selten kann sich die Primärerscheinung auch als schwere Krankheit (z.B. als Hirnhaut- oder Lungenentzündung) manifestieren. Etwa die Hälfte der Patienten bemerkt jedoch überhaupt nichts von dieser akuten, meist nur Wochen bis wenige Monate dauernden Phase, in der das Immunsystem beginnt, Antikörper gegen das Virus zu bilden (der HIV-Test wird “positiv”).
Dieser ersten Phase, in der es dem Immunsystem vermutlich allmählich gelingt, HIV zumindest einigermaßen zu bekämpfen und zu kontrollieren, folgt meist eine über Jahre währende sog. “Latenzzeit”. Zwar verspürt der Patient keine Symptome; in Blut, Lymphknoten und anderen Organen passiert jedoch eine Menge. Jeden Tag werden Viren und Helferzellen in der Größenordnung von mehreren Milliarden Zellen umgesetzt. Dies reflektiert die wackelige Balance zwischen Produktion und Untergang von Abwehrzellen.
Mit zunehmender Dauer der Erkrankung und allmählichem Abfall der Helferzellen kommt es dann häufig zunächst zu leichteren Infektionen und dem Auftreten von mindestens zwei vergrößerten Lymphknoten ausserhalb der Leistenregion (“Lymphadenopathiesyndrom”). Häufig finden sich auch Symptome wie Nachtschweiss, Gewichtsverlust, subfebrile Temperaturen oder allgemeines Schwächegefühl.
Im Zuge der steigenden Anzahl an Viren, der sinkenden Anzahl von Helferzellen und einer Zerstörung der Lymphknotenarchitektur kommt es schließlich zum Vollbild von AIDS. Bei diesen Patienten finden sich fast immer nur noch 200 Helferzellen im Blut.
Den Verlauf beeinflussende Faktoren
Viele Faktoren beeinflussen den Verlauf einer HIV-Infektion. Sowohl virus- als auch wirtsspezifische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. Entscheidend ist, dass das Fortschreiten der Infektion eng mit dem Verlust der Helferzellen und vor allem einer erhöhten Viruslast korreliert ist. So hat die kleine, weniger als 5% aller HIV-Infizierter ausmachende Gruppe der sogenannten “Langzeitüberlebenden”, bei der die Anzahl der Helferzellen auch nach 10 Jahren ohne jegliche Therapie fast im Normbereich liegen, fast durchweg eine niedrige Anzahl an Viren. Wie es diesen Menschen gelingt, das Virus unter Kontrolle zu halten, ist jedoch derzeit noch unklar.
In der letzten Zeit konzentrieren sich daher die Forschungen daher auch auf die antivirale Immunabwehr. Die Abwehrsysteme mancher Menschen scheinen von Anfang an eine wirksamere spezifische Immunabwehr parat zu haben als andere. Gerade wenn das Immunsystem in der ersten Phase in der Lage ist, HIV gut zu kontrollieren, scheint dies günstig zu sein.
Eindeutig ist, dass ältere Menschen (mit einem nicht mehr so funktionstüchtigen Immunsystem) eher eine schlechtere Prognose aufweisen.
Therapie
Die therapeutischen Möglichkeiten, die nun zur Verfügung stehen, sind das Ergebnis einer raschen Entwicklung neuer Medikamente. Die Wende in der Behandlung brachte die Einführung von Medikamenten, die die Vervielfältigung der Viren hemmen. Diese Medikamente sind seit 1996 allgemein verfügbar. Erstmals seit dem Beginn der HIV-Epidemie besteht jetzt die Möglichkeit,
- die Virusreplikation so weit wie möglich zu senken,
- das Entwicklung der HIV-Erkrankung aufzuhalten und
- eine Wiederherstellung der Immunfunktionen wiederherzustellen.
Bei aller Wirksamkeit der HIV-Therapie und der heute erheblich verlängerten Lebenserwartung der Patienten scheint die Elimination von HIV, also die Vernichtung im menschlichen Körper, nicht möglich zu sein.
Die Behandlungsziele der HIV-Therapie bestehen also in der
- Verlängerung der Lebenserwartung,
- Erhaltung der Lebensqualität bei symptomlosen Patienten,
- Vermeidung HIV-assoziierter Erkrankungen,
- Minimierung der notwendigen Behandlungskosten.
Dr. med. Carsten Körber
Nuklearmedizinische Praxis Fulda
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