Die Neurodermitis, auch als endogenes oder atopisches Ekzem bezeichnet, ist eine der häufigsten Kinderkrankheiten unserer Zeit (und auch die Anzahl der Betroffenen im Erwachsenenalter nimmt zu). Die Krankheit ist gekennzeichnet durch einen quälenden Juckreiz und entzündete Hautstellen, die von den Kindern immer wieder blutig aufgekratzt werden.
Bei frühem Ausbruch in der Kindheit sind häufig die Wangen als erste Stellen betroffen. Später im Verlauf kann die ganze Haut in Mitleidenschaft gezogen sein. Beim Erwachsenen sind typischerweise die Beugestellen (Ellenbeuge und Kniebeuge) und der Hals betroffen. Die Krankheit kann in Schüben mit Phasen völliger Beschwerdefreiheit verlaufen oder chronisch mit mehr oder minder gleichbleibend schwerer Ausprägung. Rund 2/3 der betroffenen Kinder verlieren die Krankheit bis zum Erwachsenenalter. Die Erkrankung geht mit einem ausgeprägtem Leidensdruck der Betroffen einher, der weit über die kosmetischen Aspekte hinausgeht.
Ursachen
Generell wird die Neurodermitis als eine multifaktorielle Krankheit betrachtet, also als Krankheit, deren Ursachen in mehreren Faktoren liegen. Als mögliche Einflussfaktoren werden genetische Veranlagung, Umwelteinflüsse, Klima, psychische Faktoren und Nahrungsmittel diskutiert.
Therapie
Je nach Sichtweise der Erkrankung kommen unterschiedliche Behandlungsansätze zum Tragen.
Wird die Neurodermitis als eine Erkrankung der Haut betrachtet, wird vorwiegend die Haut behandelt, z. B. mit Salben und Cremes mit verschiedenen Wirkstoffen (rückfettende oder entzündungshemmende Substanzen oder Kortison). Daneben besteht die Möglichkeit, die Haut über gezielte Lichttherapie (Phototherapie) positiv zu beeinflussen. Eine Klimatherapie mit viel Sonne, Licht und Salzwasser (z.B. Badekur am Toten Meer oder Nordsee) verbessert meistens das Hautbild.
Ein erweiterterter Behandlungsansatz, genannt das „Gelsenkirchener Behandlungsverfahren“, betrachtet die Neurodermitis unter einem weiteren Gesichtspunkt. Nach diesem Konzept werden spezifische Stresssituationen für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich gemacht. Bei der Neurodermitis ist dies das Gefühl von Trennung. Der Betroffene ist trennungsängstlich, trennungsempfindlich. Unter Trennung ist hierbei der unerwartete Abriss des Körperkontaktes, der Verlust des Kontaktes zur Mutter, Familie, Freunden oder der gewohnten Umgebung zu verstehen.
Wichtig ist, dass nicht jede Trennung in die Erkrankung führen kann, sondern nur eine Trennungssituation, in der der Betroffene gefühlsmäßig „auf dem falschen Fuß“ erwischt wird, in der er sich „verfühlt“. Die Trennungssituation kann auch eine Alltagssituation sein, wie z.B.
- Geburt durch Kaiserschnitt
- Abstillen
- Geburt eines Geschwisterkindes
- Wohnortwechsel
- Scheitern der ersten Liebe
- Arbeitsplatzwechsel.
Die Trennungssituation, die zur „Kränkung“ geführt hat, löst über eine Fehlregulation der Immunabwehr bzw. eine Fehlsteuerung der Haut eine Neurodermitis aus. Wiederholen sich derartige Situationen von Trennung, in denen das Gefühl erinnert und als Kränkung empfunden wird, werden jedesmal neurodermitische Beschwerden auftreten, und damit ist die chronische Erkrankung programmiert.
(Quelle: Neurodermitis- das Gelsenkirchener Behandlungsverfahren, Broschüre zu beziehen über „Allergie und umweltkrankes Kind e.V., Bundesverband, Westerholter Straße 142, 45892 Gelsenkirchen)
Umweltstoffe und -reize
Da die Haut des Neurodermitiskranken überempfindlich ist, werden oft Hautreize, die ein Gesunder problemlos verträgt, mit Krankheitssymptomen beantwortet. So kann auf Wärme oder Kälte neben anderen jahreszeitlichen Einflüssen mit Hautreizungen reagiert werden. Chemische Reize wie Baden in gechlortem Wasser, intensiv riechende Düfte, Kontakt mit verschiedenen Werkstoffen (z.B. Ölen oder Latex), Infekte oder Impfungen oder das Zahnen des Säuglings oder Kleinkindes können den Hautzustand beeinflussen. Oft werden auch tierische Produkte wie Wollkleidung, Federn, Leder, Felle schlecht vertragen. Worauf der Einzelne reagiert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Oft werden in bestimmten, stressarmen Zeiten (z.B. im Urlaub) bestimmte Dinge besser vertragen, die unter körperlicher und psychischer Belastung die Haut negativ beeinträchtigen.
Umweltbelastungen herabsetzen
Umweltbelastungen können unter anderem durch folgende Maßnahmen reduziert werden:
- die Unterwäsche sollte aus reiner Baumwolle bestehen.
- Kontakt mit tierischer Wolle vermeiden
- scheuernde Kleidungsstücke unterpolstern oder umnähen
- Wäsche gründlich spülen, Spülwasser muss klar sein, Weichspüler vermeiden
- Vorsicht mit knallbunt gefärbten Kleidungsstücken. Neue Kleidung vor dem Tragen mehrfach durchwaschen
- Desinfektionsmittel auf der Toilettenbrille kann ein Kontaktekzem auslösen
- Plastik (Schnuller und Windeln), Gummi (Gummistiefel) und imprägnierte Kleidungsstücke sollten gemieden werden.
Ernährung
Allergene können neben Juckreiz und Hautrötung auch ein Ekzem hervorrufen. Danach gehört eine allergenarme Ernährung zur Grundbehandlung der Neurodermitis. Selbst wenn Hauttests mit Allergenen und Bluttests (Gesamt-IgE-Bestimmung, RAST) nicht für eine Allergie sprechen, ist es doch möglich, dass der Betroffene auf Nahrungsmittel mit einer Unverträglichkeitsreaktion antwortet. Hauptallergene in unserem Kulturkreis sind Kuhmilcheiweiß und Milcheiweiß. Daneben können Säuren in der Nahrung den Zustand der Haut ungünstig beeinflussen. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist bekannt, dass empfindliche Kinder auf Fruchtsäuren (Saft, Orangen) mit Wundwerden reagieren können. Ahnlich verhält es sich beim Neurodermitiskranken. Eine säurereiche Ernährung (Fruchtsäuren aus Obst, Konservierungssäuren, sowie raffinierter Zucker, der zu Säureverstoffwechselt wird) kann das Hautbild verschlechtern.
Die geeignete Kost für Neurodermitiskranke ist demzufolge eine allergen- und säurearme Kost. Sie sollte möglichst naturbelassen sein. Kuhmilch- und Hühnereiweiß werden neben Fruchtsäuren und raffinierten Zucker streng gemieden. Die Kost besteht vorwiegend aus Gemüsen und Salaten. Herkömmliche Weißmehlprodukte werden durch frisch geschrotetes Vollkorn ersetzt (Vollkornnudeln, -brot und -müsli). Als Beilagen erhalten die Betroffenen Kartoffeln, Mais, Reis und Hirse. An Obst sind süßer Apfel, Birne, Banane und Wassermelone erlaubt. Zweimal in der Woche wird Fleisch oder Fisch verzehrt. Säuglinge werden 6 Monate voll gestillt. Falls sich unter dem Stillen eine Neurodermitis entwickelt, sollte die Ernährung der Mutter in der oben genannten Weise verändert werden. Weitere Informationen über die allergen- und säurearme Ernährung können über die oben genannte Adresse bezogen werden.
Normaler Umgang mit Stress
Neben den genannten Einflussfaktoren sind es vor allem psychische Spannungen, die die Krankheit unterhalten. Der Betroffene hat irgendwann unter dem Einfluss der Krankheit verlernt, mit alltäglichem Stress normal umzugehen. Auch gesunde Menschen reagieren auf besondere Belastungen mit Organsymptomen, so kann Prüfungsangst Magenschmerzen oder Durchfall auslösen. Bei dem Neurodermitiskranken können schon normale Belastungen des Alltags zu Hautreaktionen führen. Es ist oft nicht einfach, diesen Zusammenhang zu durchschauen, da die entzündliche Hautreaktion erst Stunden oder ein bis zwei Tage nach der Anspannung auftreten. Als frühe Hautreaktion tritt der Juckreiz schon nach Minuten auf.
Mit diesen Ausführungen soll keinesfalls der Eindruck erweckt werden, dass Neurodermitiskranke „nur psychisch überlagert“ sind oder eben ein wenig „spinnen“. Durch die besonderen Belastungen und die damit einhergehenden spezifischen Regelkreise einer chronischen Erkrankung verlieren die Neurodermitiskranken die Fähigkeit, mit alltäglichem Stress normal umzugehen. Das kann zur Folge haben, dass auch positive außergewöhnliche Ereignisse das Hautbild verschlechtern können.
Entspannungstraining
Da Stress und psychische Spannungen die Neurodermitis aufrecht erhalten, tragen Entspannungsübungen wie z. B. das autogene Training ganz wesentlich zum Behandlungserfolg bei. Mit Hilfe des autogenen Trainings wird ein Zustand tiefer innerer Ruhe und Ausgeglichenheit erreicht. Dazu muss das autogene Training täglich und konsequent durchgeführt werden. Neben dem autogenen Training kommen auch andere Formen von Entspannungsübungen in Frage. Möglich sind unter anderem die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Yoga, TaiChi oder eventuell ein Lauftraining. Für religiös eingebundene Menschen stellen Gebet und Meditation eine weitere Möglichkeit dar.
Das autogene Training bietet sich an, da es einfach zu erlernen ist und keine äußeren Hilfsmittel benötigt werden. Erlernt werden kann es unter anderem kostengünstig, z. B. bei Volkshochschulen oder Familienbildungsstätten.
Das Entspannungstrainung muss für den Heilungserfolg über einen längeren Zeitraum, am besten ein Leben lang durchgeführt werden. Wichtig dabei ist vor allem die Regelmäßigkeit und der feste Platz im Tagesablauf. Wer erst einmal die wohltuende Wirkung eines Entspannungstrainings schätzen gelernt hat, wird es auch um seiner selbst beibehalten.
Ist ein Säugling oder Kleinkind erkrankt, erlernt die Kontaktperson das Entspannungstraining und überträgt so die Ruhe und Gelassenheit auf das erkrankte Kind. Neben dem autogenen Training ist eine Verhaltensänderung ein entscheidender Beitrag zur Genesung. Die Krankheit mit ihren Einschränkungen darf nicht mehr im Mittelpunkt des Lebens stehen, soziale Kontakte und Aktivitäten sollten gepflegt werden. Ist ein Kind erkrankt, darf die Erkrankung des Kindes nicht das Familienleben dominieren. Die Eltern sollten mittels einer liebevollen und konsequenten Erziehung für einen ruhigen und geregelten Tagesablauf sorgen. Eltern sollten mit ihrem erkrankten Kind wie mit einem ganz normal gesundem Kind umgehen. Aus der Neurodermitis darf sich kein Anrecht für eine Sonderbehandlung ableiten lassen. Erkrankte Kinder sollten zur Selbständigkeit erzogen werden. Eine guten Beitrag zur Erziehung, Förderung und besserem Verständnis von Kindern können folgende Bücher leisten:
„Kinder fordern uns heraus“ Soltz,V., Dreikurs R., Klett- Verlag
„Das kreative Kind“ Montessori, Maria, Herder Verlag.
Selbsthilfegruppen
Unterstützung auf dem Weg aus der Erkrankung heraus können Selbsthilfegruppen bieten. Selbsthilfegruppen bemühen sich, aus „passiven Patienten“ einen Menschen zu machen, der gut über seine Krankheit informiert ist und der selbständig und selbstverantwortlich die Vorsorge für seine Gesundheit trägt. Selbsthilfegruppen, die nach dem Gelsenkirchener Behandlungsverfahren arbeiten, haben sich zusammengeschlossen unter der oben genannten Adresse.
Weitere Selbsthilfegruppen, die zum Teil mit anderen Methoden arbeiten:
Bundesverband Neurodermitiskranker in Deutschland e.V., Selbsthilfeorganisation für Neurodermitis-, Astma- und Allergiekranke, Oberstr. 171, 56 154 Boppard, Tel.: 06742/87130, Fax: 06742/2795, E-Mail: Bvneuro@aol.com oder info@neurodermitis.net, Web: www.neurodermitis.net
Deutscher Neurodermitikerbund e.V., Spaldingstr. 210, 20097 Hamburg
Dr. med. Sybille Fritsch