Seien wir doch einmal alle ehrlich. Solange wir von einer tödlichen Krankheit nicht direkt betroffen sind, machen wir uns auch darüber keinerlei schwerwiegende Gedanken.
Im Gegenteil, wir versuchen dieses leidliche Thema immer ganz weit von uns zu schieben. Der Gedanke, es passiert ja immer nur den anderen, ist in uns, sozusagen als reiner Selbstschutz, ganz fest verankert.
Ich müßte lügen, wenn ich vor Jahren nicht ebenso gedacht hätte. Obwohl ich jetzt schon seit fast zwanzig Jahren als Sekräterin in einem Krankenhaus arbeite und jeden Tag Menschen sterben sehe, habe ich vor meiner Knochenmarktransplantation nie ernsthaft über den Tod nachgedacht. Mir ist auch bisher Gott sei Dank erspart geblieben, einen geliebten Menschen durch eine tödliche Krankheit zu verlieren.
Doch dann traf es mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Meine langjährige Kollegin erzählte mir beim morgendlichen Kaffee, dass ihr Sohn Lars, den ich ebenfalls sehr gut kannte, überall an seinem Körper Blutergüsse aufwies. Vier Wochen zuvor hatte man ihn am Sprunggelenk operiert und zu diesem Zeitpunkt war er noch kerngesund. Sofort beschlich mich ein eigenartiges Gefühl und mein erster Gedanke galt der Leukämie. Innerhalb von wenigen Stunden bestätigte sich mein schrecklicher Verdacht. Lars litt tatsächlich an akuter lymphatischer Leukämie. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit und tagtäglich musste ich mitansehen, wie meine Kollegin an diesem Unglück zerbrach.
Mehrere Chemotherapien schlugen fehl und ohne eine Knochenmarktransplantation wäre Lars innerhalb weniger Wochen gestorben. Ohne darüber nachzudenken, ließ ich mich als Spender typisieren. Ich wollte einfach nur helfen.
Dann kam der erlösende Moment. Der Bruder von Lars konnte ihm das lebensrettende Knochenmark spenden, und er gewann mit seiner Hilfe den Kampf gegen den Tod.
Dass ich als Spender jetzt in einer Datei vermerkt war, daran verschwendete ich zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen Gedanken. Als Fremdspender jemals in Frage zu kommen, war für mich mehr als unwahrscheinlich.
Bis zu dem Tag, als ich das erste Schreiben von der DKMS (Deutsche Knochenmarkspendedatei) erhielt, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich als eventueller Spender in Frage kommen könnte.
Ups, daran hatte ich nun wirklich nicht im Traum gedacht und es begann heftig in meinem Kopf zu arbeiten. Doch damals stimmten die notwendigen Merkmale mit dem Blut des Empfängers nicht überein. Ein sogenannter Fehlalarm und bei mir geriet alles schnell wieder in Vergessenheit.
Zirka ein Jahr später, der zweite Brief. Diesmal klang es ziemlich ernst und die ersten Blutuntersuchungen ergaben, dass ich als Spender mit großer Wahrscheinlichkeit in Frage kommen sollte. Nach mehreren Wochen stand das Ergebnis fest. Ich sollte doch tatsächlich, auf dieser großen weiten Welt, einen genetischen Zwilling haben.
Eigenartigerweise nahm ich diese Nachricht ziemlich gelassen auf und für keinen Moment kam mir der Gedanke, jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
Nach meiner Zustimmung zur Knochenmarktransplantation ging alles rasend schnell. Nach einigen zusätzlichen Voruntersuchungen erfolgte die Operation am 21. April 1996. Ich wusste zwar nicht, was da eigentlich auf mich zukam, aber komischerweise beschlich mich überhaupt kein Gefühl der Angst. Meine Gedanken kreisten nur um den Menschen, der so auf meine Hilfe angewiesen war. Ich war die einzige, die dieserPerson eine zweite Chance geben konnte und das war alles, was für mich in dieser Zeit zählte.
Also Augen zu und durch.
Es hat sich gelohnt. Mein Einsatz rettete tatsächlich ein Menschenleben.
Um meine aufregenden Erfahrungen in Erinnerung zu behalten, schrieb ich alles haarklein auf. Meine Gründe, warum ich mich als Spender zu Verfügung gestellt hatte, die Schwierigkeiten mit der Familie und Freunden, die mit meiner freiwilligen Operation überhaupt nicht einverstanden waren, die teilweise sogar lustigen Erlebnisse im Krankenhaus vor und nach der Operation. Ich hielt natürlich das schönste Erlebnis schriftlich fest, als ich endlich nach einem Jahr den Menschen kennenlernen durfte, dem ich mit ein wenig Knochenmark das Leben gerettet hatte.
Immer öfter verfolgte ich danach zahllose Sendungen, die über das Thema Leukämie berichteten. Dabei fiel mir auf, dass zwar die Krankheit ausführlich beschrieben wurde, aber ich vermisste jedesmal eine ausführliche Information für den Spender.
Erst als ich mit meinem persönlichen Erfahrungsbericht meinen Bruder, der damals radikal gegen meine Knochenmarktransplantation gewesen war, vom Gegenteil überzeugen konnte, kam ich auf die Idee mein Manuskript zu veröffentlichen. Mit meinem kleinen Buch möchte ich Menschen nicht nur dazu bewegen zu helfen, sondern ihnen die Entscheidung zu vereinfachen. Es ist nicht damit getan, sich in die Datei aufnehmen zu lassen. Wenn man „A“ sagt, dann sollte man auch „B“ sagen und nach meiner Erfahrung sind viele Menschen dazu einfach nicht mehr bereit. Auch für meinen Knochmarkzwilling standen drei Spender zur Verfügung, wobei zwei von ihnen schon im Vorfeld abgesprungen waren. Ich nehme an, aus Angst, und ich bin davon überzeugt, dass diese Menschen niemals richtig über eine Knochenmarktransplantation ausreichend aufgeklärt wurden. All diese Fragen versuche ich in meinem Buch zu beantworten, um Menschen davon zu überzeugen, welch wunderbare Erfahrung es ist, einem anderen ein weiteres Leben zu schenken und vor dem Tod zu bewahren und dafür reichlich selbst mit Liebe beschenkt zu werden.
Aus diesem Grund trägt mein Buch den Titel: „Ein geschenktes Leben“. Es ist eine Publikation des Verlages BRUNSPictures, Günnigfelder Str. 103, 44866 Bochum. Der Preis beträgt 6,- DM, davon werden 2,- DM an die „Leukämie-Hilfe“ in Münster weitergeleitet.
Weiterhin ist das Buch auf Bestellung erhältlich in der Paulus-Buchhandlung, Kellerstr.14, 45657 Recklinghausen, Telefon: 02361-15570.
Sabine Kwyas
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