Was bedeutet hyperbare Sauerstofftherapie (HBO)?
Während einer hyperbaren Sauerstofftherapie wird bei einem Druck, der über dem normalen atmosphärischen Druck liegt, reiner Sauerstoff in einer therapeutischen Druckkammer geatmet. Die üblichen Gesamtdrücke betragen dabei zwischen 2,0 und 3,0 bar (normaler atmosphärischer Druck 1,0 bar).
HBO – ein neues Verfahren?
Druckkammerbehandlungen bei Tauchunfällen sind bereits seit der Jahrhundertwende bekannt. Druckkammern gab es jedoch schon früher. In den vierziger und fünfziger Jahren wurde das Verfahren der Sauerstoffatmung unter Überdruck, insbesondere an der Universität Amsterdam, intensiv erforscht. Seit den sechziger Jahren wird die HBO zunehmend eingesetzt. In den U.S.A. hat sie frühzeitig weite Verbreitung gefunden, während in der Bundesrepublik Deutschland erst seit wenigen Jahren ein flächendeckendes Netz von Therapieeinrichtungen besteht.
Was passiert während einer HBO-Therapie?
Ziel dieser Therapie ist eine Erhöhung des Sauerstoffgehaltes im Blut. Hierzu dient der Druck als Hilfsmittel, das abgesehen von einigen Erkrankungen keine eigene therapeutische Bedeutung besitzt. Atmet der Mensch unter einem erhöhten Umgebungsdruck reinen Sauerstoff, löst sich dieser gemäß physikalischer Gesetze (Henry-Gesetz, Dalton-Gesetz) vermehrt in der Blutflüssigkeit. Bei üblichen therapeutischen Drücken wird die Sauerstofflöslichkeit um etwa den Faktor 20 erhöht. Hierdurch werden die folgenden Therapieeffekte erzielt:
- Sauerstoff dringt um ein Vielfaches (etwa viermal) tiefer ins Gewebe ein und erreicht damit Körperzellen, deren Versorgung – z. B. bei Verletzungen oder Durchblutungsstörungen – bedroht ist.
- Zellen, die bei der Heilung von Wunden für den Aufbau von neuem Gewebe verantwortlich sind, benötigen für ihre Funktion eine Mindestmenge Sauerstoff. Steht diese nicht zur Verfügung, weil die Blutzufuhr in großen oder kleinen Gefäßen vermindert ist, kommt es zu Wundheilungsstörungen. Letztere treten z. B. als sogenannte „offene Beine“ häufig bei Zuckerkranken auf. Eine Verbesserung der Sauerstoffversorgung während der HBO-Therapie kann diese Heilungszellen aktivieren und den Wundverschluss fördern.
- Die im Wundheilungsprozess notwendige Neubildung kleiner Blutgefäße (Kapillaren) wird – vor allem bei Wundheilungsproblemen nach einer Strahlentherapie – durch die HBO-Therapie angeregt.
- Die HBO-Therapie wirkt auf mehreren Wegen gegen Krankheitskeime. Bestimmte Keime (sogenannte Anaerobier) können in einer sauerstoffreichen Umgebung nicht überleben und werden daher während der HBO direkt abgetötet. Ein Teil der körpereigenen Abwehrzellen – sogenannte Fresszellen – benötigen zur Keimabtötung große Mengen Sauerstoff. Bei einem Sauerstoffmangel ist ihre Funktion beeinträchtigt und die Abwehrleistung daher vermindert. Als Folge können sich Wunden infizieren. Die HBO-Therapie kann die Leistung dieser Zellen und damit auch die Abwehrfunktion verbessern.
- Schwellungszustände im Gewebe (Ödeme) können durch eine HBO-Therapie vermindert werden.
- Bei Rauchgasvergiftungen wird die Elimination von Kohlenmonoxid aus dem Körper durch die HBO-Therapie beschleunigt.
- Bei Tauchunfällen und Gasembolien werden Gasblasen im Gewebe oder in der Blutbahn sowohl durch den Überdruck als auch durch die Sauerstoffanreicherung verkleinert und schneller eliminiert.
Welche Erkrankungen werden heutzutage mit der hyperbaren Sauerstofftherapie behandelt?
Von den internationalen Fachgesellschaften werden die folgenden Erkrankungen zur Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff empfohlen:
Notfälle:
- Tauchunfall
- Gasembolie
- Rauchgas- und Kohlenmonoxidvergiftung
- schwere Infektionen der Weichgewebe (z. B. Gasbrand)
Akute Erkrankungen:
- Haut- und Muskelverpflanzungen mit gefährdetem Einwachsen
- schwere Verbrennungen (mehr als 20% der Körperoberfläche oder an Händen, Füßen, Gesicht)
- lebensbedrohlicher Blutverlust ohne die Möglichkeit der Gabe von Blutkonserven
- schwere Weichteilverletzungen
- offene Knochenbrüche höheren Grades
- Eiterherde im Hirngewebe (Hirnabszesse)
- akute Innenohrerkrankungen: z.B. Hörsturz, Knall-/Lärmschaden mit oder ohne Tinnitus
Chronische Erkrankungen:
- schlecht heilende Wunden, z. B. bei Zuckerkrankheit oder Durchblutungsstörungen
- Nebenwirkungen einer Strahlentherapie mit Wunden oder Organschäden (z. B. an Haut, Knochen, Blase, Enddarm); teilweise auch zur Vorbeugung
- Entzündungen des Knochengewebes
Im Rahmen wissenschaftlicher Studien wurden bei folgenden Erkrankungen vielversprechende Resultate erzielt, das Potential der HBO-Therapie ist jedoch Gegenstand weiterer Forschungsbemühungen:
- Schlaganfall
- Durchblutungsstörungen der Netzhaut des Auges
- Migräne und sogenannter Cluster-Kopfschmerz
- Sportverletzungen
- Knocheninfarkte (aseptische Knochennekrosen)
Wie läuft eine hyperbare Sauerstofftherapie ab?
Jede HBO-Therapie gliedert sich in drei Phasen. Zunächst wird langsam – bei den üblichen Therapieschemata über 10 Minuten – der Umgebungsdruck erhöht. In dieser Phase bemerkt der Patient ein Druckgefühl auf den Ohren, das dem Gefühl bei einer Flugzeuglandung entspricht. Durch Kau- oder Schluckbewegungen (oder andere Manöver) wird ein Druckausgleich hergestellt und der Druck verschwindet. An den Druckaufbau schließt sich die eigentliche Sauerstofftherapie an, die in der Regel in 30minütigen Abschnitten, die von kurzen Luftpausen unterbrochen werden, durchgeführt wird. Sauerstoff wird dabei über spezielle Masken geatmet, seltener werden Mini-Sauerstoffzelte eingesetzt. In der Druckkammer selber verbleibt während der gesamten Behandlung Luft. Unter weiterer Sauerstoffatmung wird danach der Druck über ca. 15 Minuten wieder zum Normaldruck reduziert. Bei den meisten Erkrankungen dauert die einzelne Behandlung 95 bis 135 Minuten. Eine einmal tägliche Therapie an fünf bis sechs Wochentagen ist die Regel, bei Notfallbehandlungen werden unter Umständen jedoch mehrmals täglich HBO-Behandlungen durchgeführt. Die Gesamtzahl der notwendigen Behandlungen variiert je nach behandeltem Krankheitsbild. Bei akuten Innenohrerkrankungen werden beispielsweise 10 bis 15 HBO-Sitzungen durchgeführt und bei Wundheilungsproblemen, Knocheninfektionen oder Strahlennebenwirkungen beträgt die Gesamtbehandlungszahl 30 bis 60 Sitzungen.
Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es und wie ist eine therapeutische Druckkammer aufgebaut?
Moderne Druckkammern verfügen über 10 bis 14 komfortable Sitzplätze (s. Abb. 1).
Abb.1: Sitzanordnung mit großem Komfort in einer modernen Therapiedruckkammer.
Die Kammerlänge beträgt ca. 6 bis 7 Meter bei einer Stehhöhe von mehr als 2 Meter. Über eine spezielle Vorkammer kann sich jederzeit Hilfspersonal innerhalb von 30 Sekunden einschleusen. Auch das Verlassen der Kammer mit einzelnen Patienten ist darüber jederzeit möglich. Über ein Videoüberwachungssystem und eine Gegensprechanlage kann zu jedem Zeitpunkt der Behandlung Kontakt zwischen Druckkammerpersonal und Patienten aufrecht erhalten werden.
Hinsichtlichder medizinischen Überwachung sollte an mehreren Plätzen eine Kontrolle des Sauerstoffgehaltes im Blut durch auf die Haut aufgeklebte Sonden möglich sein. Auch die Ausstattung für die Überwachung des EKGs und Blutdrucks gehört zum Standard. Druckkammern für die Behandlung von Notfallpatienten können wie eine Intensivstation mit einer Vielzahl weiterer Überwachungsmöglichkeiten ausgestattet werden.
Brandschutz spielt sowohl bei der Konstruktion als auch im täglich Betrieb von Druckkammern eine große Rolle. Alle Kammern werden hinsichtlich der gültigen Verordnungen diesbezüglich überprüft. Die Patienten werden angehalten, keine feuergefährlichen Gegenstände in die Druckkammer mitzunehmen.
Welche Nebenwirkungen gibt es?
Bei Beachtung der von den Fachgesellschaften vorgegebenen Sicherheitsregeln gilt die HBO-Therapie als sicheres Verfahren. Bezogen auf die Häufigkeit der Anwendung sind schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten.
- Nebenwirkungen durch den Überdruck: Sollte der o.g. Druckausgleich nicht in ausreichendem Maße hergestellt werden können, kann ein starker Druck im Ohrbereich entstehen, der schmerzhaft werden kann. Druckausgleichprobleme treten in der Regel bei Erkältungen, Heuschnupfen oder behinderter Nasenatmung auf. Bei derartigen Problemen ist das Druckkammerpersonal sofort zu informieren. Die Behandlung kann für den betroffenen Patienten abgebrochen und in der Regel nach einer Pause von wenigen Tagen weitergeführt werden. Wird der Druckaufbau trotz Problemen fortgesetzt, können Schäden im Mittelohr nicht ausgeschlossen werden. Ahnliche Schwierigkeiten treten gelegentlich im Bereich der Nasennebenhöhlen auf. Der Patient bemerkt dann ziehende Schmerzen im Stirn- und/oder Oberkieferbereich. Meistens sind diese Beschwerden harmlos und gehen nach Gabe von abschwellenden Nasentropfen zurück.
- Sauerstoffunverträglichkeiten: Die üblichen HBO-Behandlungen sind so angelegt, dass Sauerstoffunverträglichkeiten äußerst selten vorkommen. Letztere können sich mit Unwohlsein, Übelkeit, Kribbeln an Fingern und im Gesicht, Sehstörungen, Hörstörungen oder Verkrampfungen der gesamten Körpermuskulatur mit kurzdauernder Bewusstlosigkeit äußern. Die Krämpfe werden großen Studien zufolge mit einem Risiko von 1:10.000 bis 1:20.000 Behandlungen beobachtet und sind nach derzeitigen Erkenntnissen harmlos.
- Andere Komplikationen: Lungenkomplikationen wurden bisher nur als extrem seltene Einzelfälle beschrieben. Trotzdem muss die Therapie bei Patienten mit stärker eingeschränkter Lungenfunktion sehr kritisch abgewogen werden. Patienten, die zu Platzangst tendieren, bekommen gelegentlich Beklemmungsgefühle in der Druckkammer. Therapieabbrüche deswegen sind jedoch selten. Bei Bedarf kann ein Beruhigungsmittel – vorzugsweise auf pflanzlicher Basis – gegeben werden.
Welche Voruntersuchungen werden vor der Therapie durchgeführt?
Jeder Patient wird vor einer HBO-Therapie eingehend untersucht. Hierher gehört selbstverständlich auch die Besprechung der Krankheitsvorgeschichte im Hinblick auf die Therapie. Zusätzlich werden bei jedem Patienten folgende Untersuchungen durchgeführt:
- Beurteilung des Mittelohrs und des Druckausgleichs mittels Ohrspiegelung oder Ohrmiskroskopie, gegebenenfalls zusätzliche Schalldruckmessung (Tympanometrie)
- körperliche Untersuchung von Lunge und Herz
- Überprüfung der Lungenfunktion
- EKG in Ruhe
- Röntgenbild des Brustkorbes (nicht älter als zwei Jahre)
Dieses Programm kann bei entsprechenden Vorerkrankungen oder Befunden erweitert werden.
Erreichen andere Sauerstofftherapien ähnliche Effekte wie die HBO-Therapie?
Entscheidend für die erhebliche Erhöhung der Sauerstofflöslichkeit während der HBO-Therapie ist das Hilfsmittel Überdruck. Eine Sauerstoffatmung bei Normaldruck kann zwar die Löslichkeit erhöhen, jedoch nicht in Bereichen, in denen die oben genannten Wirkungen erzielt werden. Alternative Sauerstofftherapieformen ohne den Einsatz von Überdruck können daher eine HBO-Therapie nicht ersetzen.
Abb. 2: Moderne Therapiedruckkammer von außen
Abb. 3: Computergesteuerter Steuerungs- und Überwachungsstand einer Therapiedruckkammer
Wie finde ich das nächstgelegene Druckkammerzentrum?
In der Bundesrepublik Deutschland hat sich innerhalb der vergangenen Jahre ein nahezu flächendeckendes Netz von zur Zeit ca. 90 Druckkammerzentren mit über 1.000 Behandlungsplätzen entwickelt. Der Verband Deutscher Druckkammerzentren (VDD) e.V. gibt Auskunft über das nächstgelegene Zentrum (Adresse s.u.).
Wichtige Adressen
Verband Deutscher Druckkammerzentren (VDD ) e.V.
Geschäftsstelle
Cuno Niggl Str. 3
83278 Traunstein
Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM e.V.): Geschäftsstelle, Frau Dunja Hausmann, BG-Unfallklinik, Prof.-Küntscher-Str. 8, 82418 Murnau, Tel: 08841-48-2167, Web: www.gtuem.org
Literatur
Interessante Patienteninformation: Dr. M. Almeling, Dr. W. Welslau: HBO – Die Hyperbare Oxygenation. Archimedes-Verlag, 7. Auflage, Strande 1998, ISBN 3-9804778-8-6.
Das Wichtigste über Grundlagen, Einsatzbereiche und Forschungsschwerpunkte: Dr. M. Almeling, Dr. W. Welslau (Hrsg.): Grundlagen der hyperbaren Sauerstofftherapie. Archimedes-Verlag, 2. Auflage, Strande 1998, 230 S., ca. 50 Abb. – 16,5 x 24 cm. – Paperback/Pappband, ISBN 3-9805716-1-0, 29,80 DM (29,80 SFr)
Wissenschaftliches Standardwerk: E.P. Kindwall, MD: Hyperbaric Medicine Practice. Best Publishing Company, Flagstaff, AZ, U.S.A. 1995, ISBN 0-941332-29-2.
Wichtige Adressen:
Verband Deutscher Druckkammerzentren (VDD) e.V.
Geschäftsstelle
Cuno Niggl Str. 3
83278 Traunstein
www.vdd-hbo.de
Dr. med. Christian Plafki
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am 10. Februar 2014
[...] wird bei einem Druck, der über dem normalen atmosphärischen Druck liegt, http://www.medizin-netz.de/therapien/hyperbare-sauerstofftherapie-hyperbare-oxygenation-hbo-therapie… Kategorie: Allgemein Tag: Druck, erkrankungen, HBO-Therapie, Sauerstoff, Sauerstofftherapie, [...]
nora frey
am 29. August 2009
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