In der Bundesrepublik Deutschland zählt das Schilddrüsenkarzinom mit schätzungsweise 2.350 Neuerkrankungen pro Jahr zu den selteneren Krebsarten. Es kommt somit mit einer Häufigkeit von etwa 3 Erkrankungsfällen pro 100.000 Einwohnern im Jahr vor. Frauen sind etwa 2-3 mal häufiger betroffen als Männer. Das Schilddrüsenkarzinom liegt an 11. Stelle aller krebsbedingten Todesursachen. Mit einem Anteil von 1% aller bösartigen Neubildungen bildet es zwar nur eine kleine Gruppe innerhalb der Krebserkrankungen. Es ist aber dennoch wichtig, die Erkrankungsbilder von Schilddrüsenkarzinomen zu kennen, denn bei rechtzeitiger Erkennung bietet es abhängig von seinem feingeweblichen Aufbau eine besonders gute Heilungschance. Dies liegt u. a. an der Möglichkeit einer sehr selektiven Diagnostik und Therapie mit radioaktivem Iod (131I) im Rahmen einer Radioioddiagnostik oder -therapie.
Klinisches Bild (Alarmsignale des Körpers)
Die Symptome des Schilddrüsenkrebses ergeben sich aus der Lage des Organs im Halsbereich mit der engen Beziehung zu Luft- und Speiseröhre und zu den Nerven der inneren Kehlkopfmuskulatur.
Eine Vergrößerung der Schilddrüse kann mit folgenden Symptomen und Beschwerden einhergehen:
- Druckgefühl im Halsbereich
- Luftnot
- Schluckbeschwerden
- Hustenreiz
- tastbar und sichtbar vergrößerte Lymphknoten im Halsbereich
- Heiserkeit
Wachsamkeit ist auch immer dann geboten, wenn ein Kropf (Vergrößerung der Schilddrüse) innerhalb weniger Wochen und Monate entsteht, sich derb und hart anfühlt, wenn ein lange bestehender Kropf plötzlich wieder rasch wächst und einzelne Bezirke oder Knoten derber werden oder wenn Lymphknotenvergrößerungen im Halsbereich auftreten.
Diese Symptome können auch harmlose Ursachen haben, sollten jedoch zwingend zu einem Arztbesuch führen.
Diagnostik
- Patientenvorgeschichte
Als bekannte Risikofaktoren gelten Röntgenbestrahlungen im Halsbereich während des Kinder- und Jugendalters. Sichere Hinweise auf eine Vererbung von Schilddrüsenkarzinomen sind nicht bekannt, dennoch sollte eine genaue Erhebung der Familiengeschichte des Patienten erfolgen, da gelegentlich eine familiäre Häufung bei den bösartigen Neubildungen der Schilddrüse beobachtet wurden.
Eine Struma stellt für sich genommen keinen Risikofaktor für die Entwicklung eines Schilddrüsenkarzinomes dar. - Körperliche Untersuchung
Zur klinischen Untersuchung gehört eine gründliche Tastuntersuchung der Schilddrüse zur Beurteilung möglicher derber Knoten und vorhandener Lymphknotenvergrößerungen. Mit der im folgenden beschriebenen Ultraschalluntersuchung lassen sich genauere Informationen gewinnen. - Ultraschalluntersuchung (Sonographie)
Da die Schilddrüse oberflächlich liegt, ist sie einer Ultraschalluntersuchung gut zugänglich. Die Sonographie gibt Auskunft über Lage und Beschaffenheit der Veränderungen an der Schilddrüse und den Lymphknoten des Halses. Dieses Untersuchungsverfahren, das heute sehr häufig auch an anderen Organsystemen eingesetzt wird, hat den Vorteil, dass es beliebig wiederholt werden kann und die Patienten keiner schädlichen Strahlenbelastung ausgesetzt sind. - Radioiodszintigramm
Schilddrüsengewebe zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, Iod zu speichern. Die Radioiodszintigraphie nutzt diesen Umstand aus, indem schwach radioaktiv markiertes Iod in eine Unterarmvene injiziert wird, das sich im Schilddrüsengewebe anreichert. Auf anschließend angefertigten Szintigraphieaufnahmen kann man Abweichungen von der Norm feststellen und so auf die Größe des Tumors schließen. Häufig lassen sich die Tumoren in diesen Szintigrammen als minderspeichernde Bezirke oder als kalte („hypofunktionelle“) Knoten nachweisen. Da sich das Iod auch in den Metastasen von Schilddrüsenzellen anreichern kann, dient diese Untersuchung auch dem Nachweis von möglichen Metastasen. - Feinnadelbiopsie
Mit einer feinen Nadel werden hier Zellen aus einem verdächtigen Bereich der Schilddrüse entnommen, die dann unter einem Mikroskop untersucht werden. Dieses Vorgehen ist für den Patienten ein nicht schmerzhaftes und ungefährliches Untersuchungsverfahren, bei dem eventuell schon vor einer möglichen Operation Aussagen über die Veränderungen in der Schilddrüse gemacht werden können. Die Angst, dass hierdurch Tumorzellen verschleppt werden könnten, ist unbegründet. - Röntgenuntersuchungen
Mit Hilfe konventioneller Röntgenaufnahmen und spezieller Verfahren, wie der Computertomographie und Kernspintomographie kann die loakle Ausdehnung des Tumors und die Lagebeziehung zu den anatomischen Strukturen im Halsbereich sehr gut dargestellt werden. Beide Verfahren werden auch in der Nachsorge des Schilddrüsenkarzinomes gelegentlich eingesetzt.
Bei den Luftröhren- und Speiseröhrenspezialaufnahmen wird festgestellt, ob diese Strukturen durch den Tumor eingeengt werden. Dies lässt Rückschlüsse über die Größe der Schilddrüse und gelegentlich des Tumors zu.
Konventionelle Aufnahmen des Brustkorbes, Becken- und Wirbelsäulenaufnahmen helfen beim Ausschluss von Metastasen. - Spiegelung der Luft- und Speiseröhre
Bei der Spiegelung von Luft- und Speiseröhre durch einen biegsamen Schlauch mit einem optischen System kann man sehen, ob diese Strukturen durch den Tumor in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Außerdem kann die Funktion der Stimmbandnerven vor der Operation des Tumors überprüft werden.
Feingewebliche Untergruppen der Schilddrüsenkarzinome
Feingeweblich lassen sich verschiedene Formen von Schilddrüsenkrebs unterscheiden. Dies ist für den weiteren Verlauf und für die Wahl der Behandlungsform von Bedeutung.
Man unterscheidet:
Feingewebliche Form | Häufigkeit |
Follikuläres oder papilläres Karzinom | 80% |
Undifferenziertes Karzinom | 10% |
Medulläres Karzinom | 5% |
Andere Krebsarten (z. B. Metastasen) | 5% |
Beim follikulären Karzinom handelt es sich meist um einzelne Schilddrüsenknoten, die häufig bei Patienten im Alter von 50 Jahren auftreten und besonders in Kropfgebieten vorkommen. Das follikuläre Karzinom bildet Metastasen auf dem Blutweg aus, die vor allem in Knochen und Lunge zu finden sind.
Das papilläre Karzinom betrifft meist 30-40 jährige Patienten. Häufig finden sich mehrere Herde in einem oder beiden Schilddrüsenlappen. Das Karzinom metastasiert zunächst über die Lymphgefäße in die umliegenden Lymphknoten, und erst später kommt es zur Aussaat über den Blutweg. Insgesamt ist die Prognose dieser Tumoren als sehr gut anzusehen.
Als medulläres Karzinom werden bösartige Neubildungen von Zellen bezeichnet, die aufgrund der entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhänge in den Schilddrüsen liegen, aber in keinem Zusammenhang mit der Schilddrüsenfunktion stehen, sondern Botenstoffe (Hormone) für den Knochenstoffwechsel bilden. Sie nehmen daher auch kein Jod in sich auf. Dieses Karzinom metastasiert häufig, teils schon sehr frühzeitig in die Lymphknoten des Halses, auf dem Blutweg gelangen Tumorzellen in Leber, Lunge und Knochen. Diese Tumorform kann familiär gehäuft vorkommen und, wie man heute weiß, auch vererbt werden. Zu 70% entstehen die Karzinome jedoch zufällig und werden an die Kinder nicht weitergegeben.
Das undifferenzierte Karzinom zählt zu den sehr aggressiven Tumoren der Schilddrüse und tritt meist bei älteren Patienten auf. Sie bemerken meist eine schnell zunehmende Vergrößerung der Schilddrüse. Das undifferenzierte Karzinom, auch anaplastisch genannt, wächst in die Umgebung vor und bildet Metastasen in Leber, Lunge, Knochen und Gehirn. Die Prognose ist sehr ungünstig, oft überleben die Patienten nur wenige Monaten nach der Diagnosestellung. Sie versterben an lokalen Komplikationen des Tumors.
Therapieformen
Allen Therapien von Schilddrüsenkarzinomen gemeinsam ist zunächst die Operation.
- Operation
Welche Operation für den Patienten in Frage kommt, richtet sich nach dem feingeweblichen Aufbau und der Tumorausdehnung. Die sehr kleinen papillären Schilddrüsenkarzinome ausgenommen, wird bei den anderen Formen immer die gesamte Schilddrüse entfernt. Beim papillären und medullären Karzinom sind häufig die Lymphknoten im Halsbereich der betroffenen Schilddrüsenseite, manchmal auch beidseitig befallen. Dann wird unter Umständen eine vollständige Entfernung des gesamten Lymphknoten-enthaltendenFett- und Bindegewebes im Halsbereich vorgenommen.
Neben der nun fehlenden Produktion von Schilddrüsenhormonen, die einfach durch Medikamente ersetzt werden kann, ist auch der Kalziumspiegel nach der Operation zu überprüfen, da die sog. Nebenschilddrüsen mit entfernt worden sein könnten. Durch Gabe von Kalzium und Vitamin D wird diese Störung ebenfalls behoben.
Als weitere Nebenwirkungen können sich bei Schilddrüsenoperierten Beschwerden beim Sprechen und Heiserkeit als Folge einer Verletzung oder Funktionsstörung der Stimmbandnerven einstellen, die durch sprachtherapeutische Behandlung zu bessern sind. - Radioiodtherapie bei Schilddrüsenkarzinomen
Nur die radikale operative Entfernung des gesamten Schilddrüsengewebes schafft die Voraussetzung für gezielte Behandlung von verbliebenem Schilddrüsengewebe und/oder Metastasen mit radioaktivem Iod (131I), das von den Metastasen des papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinomes häufig gespeichert wird. Speichert das Tumorgewebe kein Iod, wie z. B. das von den C-Zellen abgeleitete medulläre Karzinom oder die undifferenzierten Schilddrüsenkarzinome, kann zur Metastasenbehandlung keine Radioiodtherapie durchgeführt werden.
Als Voraussetzung zur Durchführung der Radioiodtherapie dürfen während eines etwa vierwöchigen Zeitraumes vor der Behandlung keine Schilddrüsenhormone genommen werden, auch wenn dies bei vielen Patienten zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führt. Grund hierfür ist, dass nur bei einem Schilddrüsenhormonmangel über den Regelkreis zur Hirnanhangsdrüse eine optimale Radioiodaufnahme in die Metastasen gewährleistet wird. Nach zwei bis drei Wochen des Fehlens von Schilddrüsenhormonen tritt als Zeichen der Schilddrüsenunterfunktion häufig eine verminderte Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und möglicherweise geringe Gewichtszunahme auf. Diese Nebenwirkungen gehen vollständig zurück, wenn nach der Radioiodtherapie wieder Schilddrüsenhormone in der erforderlichen Dosis eingenommen werden.Vier Wochen nach der möglichst vollständigen operativen Schilddrüsenentfernung wird erstmalig eine Radioiodtherapie durchgeführt. Diese dient der Beseitigung kleinster Schilddrüsenreste, die auch nach sorgfältiger totaler Thyreoidektomie meist nachweisbar sind. Erst dann ist eine ausreichende Anreicherung von Radioiod im speichernden Tumorgewebe (verbliebene Schilddrüsenreste oder Metastasen) möglich. Im weiteren Verlauf ist die Häufigkeit der Radioioddiagnostik und gegebenenfalls auch -therapie vom Tumorstadium und dem Karzinomtyp abhängig. Bei nahezu allen Patienten wird eine Radioioddiagnostik nach der Ersttherapie im Abstand von drei bis zwölf Monaten durchgeführt, möglicherweise nochmals nach 5 Jahren. Kann in der Radioioddiagnostik noch speicherndes Schilddrüsengewebe dargestellt werden (Szintigramm), wird eine erneute therapeutische Verabreicherung von radioaktivem 131 Iod meist in Form von Kapseln entsprechend der individuellen Befundsituation in Dosis und Häufigkeit erfolgen. Die Kapseln werden dem Bedarf angepasst und lösen sich erst im Magen auf.
Zur Durchführung der Radioioddiagnostik und -therapie bedarf es aus Strahlenschutzgründen eines stationären Aufenthaltes.
Unter Umständen können durch die Radioiodbehandlung die Speicheldrüsen in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies lässt sich weitgehend vermeiden durch reichliches Trinken und das Lutschen von sauren Bonbons.
Die Strahlenbelastung bei der Radioioddiagnostik ist für den Gesamtkörper sehr gering und entspricht in ihrer Größenordnung einer normalen Röntgenaufnahme. Bei der Radioiodtherapie ist die Strahlenbelastung deutlich höher. Da jedoch der größte Teil des Radioiods von den verbliebenen Schilddrüsenzellen aufgenommen wird, bleibt eine Schädigung der übrigen Organe aus. Nach mehrfacher Radioiodtherapie mit einer sehr hohen Gesamtdosis können vermehrt Knochenmarksschädigungen auftreten. Dies wird jedoch während der Radioiodbehandlung sorgfältig kontrolliert. - Äußere Bestrahlung
Die Bekämpfung eines Tumors mit Strahlen hat im wesentlichen die Verkleinerung der Geschwulst zum Ziel. Bestimmte Strahlen verursachen Schäden im Erbgut der Zellen. Krebszellen haben ein weniger gut funktionierendes Reparatursystem als normale Zellen. Deshalb können die Schäden, die durch die Bestrahlung angerichtet werden, schlechter behoben werden und die Krebszellen sterben ab.
Bei Schilddrüsenkrebs ist eine äußere Bestrahlung in der Regel nur dann erforderlich, wenn der Tumor nicht vollständig entfernt werden konnte, Tumormetastasen, nicht operierbare wiederkehrende Geschwulste oder wenn ein undifferenziertes Karzinom vorliegt.
Die äußere Bestrahlung des Halses und des oberen Brustkorbgebietes wird beim Schilddrüsenkarzinom über mehrere Wochen ambulant durchgeführt. Die einzelnen Bestrahlungen erfolgen einmal täglich an fünf Tagen in der Woche. Unter der Bestrahlung können Nebenwirkungen auftreten wie Heiserkeit, Halsschmerzen, Mundtrockenheit und Hustenreiz. Eine entsprechende medikamentöse Begleitbehandlung kann hier jedoch weitgehende Linderung erzielen. Durch Verbesserung der Bestrahlungstechniken konnten in den letzten Jahren vor allem die Dauerfolgen im Bestrahlungsgebiet (Trockenheit der Schleimhäute, Lymphschwellung) wesentlich vermindert werden. - Chemotherapie
Die Chemotherapie ist wie die Strahlentherapie deshalb erfolgreich, weil die verabreichten Medikamente Krebszellen eher angreifen als normales Gewebe.
Eine Chemotherapie ist im Gegensatz zu den zuvor geschilderten Methoden nicht im Behandlungsschema enthalten, da die Erfolgsrate nicht so hoch wie bei den anderen Verfahren ist. In seltenen Fällen kann bei fortschreitender Metastasierung eine Chemotherapie versucht werden, wenn Radioiodtherapie oder äußere Bestrahlung nicht möglich sind.
Tumornachsorge
Jede Krebsbehandlung ist ohne die Tumornachsorge unvollständig. Diese hat zur Aufgabe:
- ein Wiederauftreten der Krankheit (Tumorrezidiv) rechtzeitig zu erkennen,
- Begleit- oder Folgeerkrankungen festzustellen und zu behandeln sowie
- dem Patienten bei seinen physischen, psychischen und sozialen Problemen zu helfen.
Mit der Operation ist die Behandlung eines Patienten mit Schilddrüsenkarzinom nicht beendet. Oft werden im Rahmen der Tumornachsorge noch Radioiodbehandlungen durchgeführt. Darüber hinaus sind zu Anfang relativ engmaschige Kontrollen erforderlich. Bei Wohlbefinden des Patienten und Rezidivfreiheit werden die Abstände immer größer. Die Abhängigkeit von Schilddrüsenhormonen und deren zentrale Bedeutung für den Erfolg der Behandlung erfordern vom Patienten eine genaue Einhaltung der Therapie und der Nachsorgetermine, die von einem in der Behandlung der jeweiligen Erkrankung erfahrenen Zentrum durchgeführt werden sollte. Im Mittelpunkt der einzelnen Nachuntersuchungen stehen neben der Besprechung mit dem Patienten (Anamnese) die körperliche Untersuchung, Röntgenaufnahmen, Szintigramme und Laboruntersuchungen. Diese Maßnahmen dienen sowohl der Metastasensuche als auch der Erkennung von Rezidiven.
Dr. med. Carsten Körber
Nuklearmedizinische Praxis Fulda
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