Tauchunfälle – Häufigkeit und Charakteristika
Unfälle in der Auftauch-(=Dekompressions-)phase sind klassische Erkrankungen von Tauchern und Überdruckarbeitern und besitzen darüber hinaus auch in der Aviatik (Flugwesen) Relevanz. Oft werden auch die folgenden Synonyme verwendet: Caisson-Unfall, Taucherkrankheit, Bläschenkrankheit, Fliegerkrankheit.
Alle Dekompressionsunfälle werden als „Decompression illness (DCI)“ zusammengefasst. Hierunter fallen sowohl Folgezustände nach einem Lungenriss, u. a. mit Einschwemmungen von Gasblasen in Gefäße als sogenannte „Arterielle Gasembolie (AGE)“ als auch die Dekompressionskrankheit („Decompression sickness DCS“) als Folge einer zu großen Stickstoffmenge im Gewebe und nachfolgender Gasblasenbildung. Im Akutfall ist eine Unterscheidung oft schwierig, wobei sich die Erste Hilfe-Maßnahmen jedoch nicht unterscheiden.
Eine AGE kann bereits nach Tauchgängen in geringer Tiefe – z. B. auch Hallenbadtiefe von 3 Metern – auftreten. Oft liegt ein zu schneller Aufstieg gegebenenfalls zusätzlich mit vorgehender tiefer Einatmung, und/oder eine Erkrankung der Bronchien oder der Lunge zu Grunde. Die Symptome können sehr vielgestaltig sein (z. B. Krampfanfall, Bewusstlosigkeit, Lähmungen, blutiger Husten, Atemnot, Schock mit Herz-/Kreislaufstillstand) und treten sehr früh innerhalb von wenigen Minuten nach Erreichen der Wasseroberfläche auf.
Die DCS-Verunfallten sind in vielen Fällen zu lange oder zu tief getaucht. Unter Umständen. wurden auch vorgeschriebene Stops auf dem Weg zur Wasseroberfläche verpasst. Jedoch immerhin mindestens 50% der Verunfallten haben gemäß den Vorgaben ihrer Tauchtabelle oder ihres Tauchcomputers keinen Fehler gemacht. Individuellen Risikofaktoren, wie z. B. Flüssigkeitsmangel, schwere körperliche Anstrengung während des Tauchgangs, Kälte, zu frühes Fliegen nach den Tauchen oder ein erhöhter Körperfettgehalt kommt eine große Bedeutung zu. Die Symptome können mit sehr langer Verzögerung von 24 Stunden und mehr in Erscheinung treten und sind sehr vielgestaltig (häufig: Muskel-/Gelenkschmerzen, Hauterscheinungen, Lähmungen, Gefühlsstörungen, starke Müdigkeit, Schwindel).
Erste Hilfe beim Tauchunfall
Die Wahrnehmung und Artikulation von Symptomen seitens des verunfallten Tauchers und seiner Partner bilden die Grundsteine für ein richtiges und damit effektives Vorgehen. Zur Vermeidung von Verzögerungen sollten alle Symptome nach einem Tauchgang ernst genommen werden, denn Folgeschäden nach Dekompressionsunfällen zeigen eine deutliche Abhängigkeit vom Zeitverzug bis zur Behandlung. Erklärbar wird dieses Phänomen mit der sogenannten Blasenorganisation, die bereits eine Stunde nach einem Unfall beginnt. Gasblasen lösen dabei bestimmte Reaktionen von Blutzellen und -proteinen (Gerinnungsfaktoren etc.) aus, die im Endergebnis dazu führen, dass die Blase von einem Netz aus Blutplättchen und Fibrin umsponnen und somit zu einem festen Gebilde wird. Eine Druckkammerbehandlung ist zwar nach längerer Zeit noch mit Erfolg möglich, die Aussichten auf Beschwerdefreiheit sinken aber stetig wie die Abbildung zeigt.
Abb.: Therapieergebnisse bei Tauchern mit und ohne normobare Sauerstofftherapie. Der Effekt einer Druckkammerbehandlung sowohl auf schnelle Linderung als auch Folgebeschwerden ist deutlich.
Abb.: Restbeschwerden in Abhängigkeit vom Ausgangssymptom und der Zeitverzögerung bis zur Druckkammertherapie.
Auf die Wahrnehmung und Beurteilung der Situation folgt die Rettung des Tauchers aus dem Wasser. Sinnvolle Erste Hilfe ist nur in einer möglichst günstigen Umgebung möglich. Erforderlich ist auf jeden Fall die Lagerung auf einer festen Unterlage. Sind Maßnahmen der Herz- Lungen-Wiederbelebung notwendig, wird der Verunfallte flach auf den Rücken gelegt und zwar so, dass die Helfer von allen Seiten her Zugang zu ihm haben. Ein verunfallter Taucher mit klarem Bewusstsein wird zur Durchführung einer Sauerstofftherapie unter Normaldruck (normobare Sauerstofftherapie) ebenfalls flach auf dem Rücken gelagert, der Kopf wird dabei idealerweise um 15 bis 30° angehoben. Bei Bewusstseinsstörungen und stabiler Kreislauf- und Atemfunktion ist die stabile Seitenlage zu bevorzugen, wobei auch in dieser Position über eine einfache Maske Sauerstoff gegeben werden kann. Lagerungstechniken mit erhöhten Beinen etc. werden nicht mehr empfohlen.
Neben dem Symptombewusstsein und der Rettung aus dem Wasser sowie der richtigen Lagerung steht die Erste Hilfe durch nichtärztliches Personal im Mittelpunkt der Erstversorgung. Hierzu gehören:
- Bewertung der Situation
- Einleitung des Transports zu einer Behandlungsdruckkammer
- Allgemeine Erste Hilfe nach der ABC-Regel, falls erforderlich
- Normobare Sauerstofftherapie mit einem speziellen System (z. B. WENOLL-System oder System der Taucherrettungsgesellschaft Divers Alert Network [DAN])
- Flüssigkeitsgabe von einem Liter Wasser oder Elektrolytdrink innerhalb der ersten Stunde, jedoch nur bei Tauchern mit klarem Bewusstsein und guter Schluckfunktion. In anderenFällen darf die Flüssigkeit nur per Tropfinfusion zugeführt werden.
Die Maßnahmen der Ersten Hilfe müssen möglichst ohne Unterbrechung bis zum Beginn der definitiven Druckkammertherapie fortgesetzt werden. Der Einsatz der normobaren Sauerstofftherapie bewirkt nicht nur in einem höheren Maße Besserungen der Symptome bis zum Eintreffen an der Druckkammer, sondern verbessert auch die Ergebnisse der Gesamttherapie wie die Statistik von DAN zeigt (Abb.). Eine fachgerechte Erste Hilfe erfordert eine gute Ausbildung und ständige Übung, um den aktuellen Stand der Erkenntnisse berücksichtigen zu können. Maßnahmen wie die nasse Rekompression oder der Einsatz von Einmanndruckkammern tauchen in den aktuellen Konzepten nicht mehr auf. Die normobare Sauerstoffgabe gilt demgegenüber als sichere und effektive Methode. Die Gabe von Medikamenten durch Ersthelfer kann nicht empfohlen werden, da neben möglichen positiven Effekten auch durchaus unerwünschte Wirkungen eintreten können. Darüber hinaus haben viele Medikamente lediglich unterstützenden Charakter.
Die Druckkammerbehandlung erfolgt heutzutage nach den festgelegten Regeln der wissenschaftlichen Fachverbände. Dabei werden nur bei schweren Fällen und zügigem Behandlungsbeginn größere Tauchtiefen von bis zu 50 m eingesetzt. Viel wichtiger als die reine Druckexposition ist die Gabe von Sauerstoff unter Überdruckbedingungen. Diese ist noch um ein Vielfaches effizienter als die normobare Sauerstofftherapie. Begleitend zur Druckkammerbehandlung wird ein Rehabilitationsprogramm gestartet, das je nach Zustand des verunfallten Tauchers eine große Palette unterschiedlicher Maßnahmen beinhaltet. Einen wichtigen Bestandteil bilden dabei krankengymnastische Übungen in der Druckkammer, denn bestimmte Funktionen erholen sich während der laufenden Behandlung und müssen gezielt trainiert werden. Bei normalem Druck werden diese Fähigkeiten oft erst einige Zeit später erreicht. Die Druckkammerbehandlung wird entweder bis zur vollständigen Beschwerdefreiheit durchgeführt oder so lange fortgesetzt bis mehrere aufeinanderfolgende Behandlungen keine weitere subjektive oder objektive Besserung des Zustandes erbringen. Bei entsprechenden Restsymptomen schließen sich ambulante und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen an.
Abb.: Taucherrettungskette. Das schwächste Glied in diesem Ablauf beeinflusst maßgeblich den Therapieerfolg. Die Rehabilitation des Verunfallten beginnt bereits mit der Situationswahrnehmung.
In der Abbildung wird der Ablauf einer solchen Taucherrettungskette skizziert. Dabei bleibt zu beachten, dass das Endergebnis immer nur so gut sein kann wie das schwächste Glied dieser Kette. Die Möglichkeiten der Druckkammertherapie sind deutlich eingeschränkt, wenn der Transport verzögert wird oder Symptome zu spät registriert werden. Auch die Rehabilitation des Verunfallten beginnt nicht erst im unteren Bereich der Kette, sondern bereits oben, denn bereits dort werden die Weichen für den Erfolg der Gesamttherapie gestellt. Jeder Taucher sollte daher zu einer angemessenen Ersthilfe in der Lage sein und Zeitverzögerungen durch überflüssige Maßnahmen, wie z. B. eine nasse Rekompression, müssen vermieden werden.
Wichtige Adressen
- Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM e.V.): Geschäftsstelle, Frau Dunja Hausmann, BG-Unfallklinik, Prof.-Küntscher-Str. 8, 82418 Murnau, Tel: 08841-48-2167, Web: www.gtuem.org
- Verband Deutscher Druckkammerzentren (VDD e.V.): Cuno Niggl Str. 3, 83278 Traunstein
- DAN-Europe-Hotline für Tauchunfälle in Deutschland: 0431-54090
- DAN-Europe-Hotline für Tauchunfälle weltweit: +41 1 1414
- Professional Diving Instructors Corporation: Fachabteilung Tauchmedizin, Dr. med. Christian Plafki
Literatur
- M. Almeling, F. Böhm, W. Welslau: Handbuch Tauch- und Hyperbarmedizin. ecomed-Verlag 1997.
- Loseblattausgabe, ISBN 3-609-72390-4
- N. Zanker, W. Welslau: Tauchsport Sonderbrevets: Tauchsicherheit – Tauchrettung. Delius Klasing-Verlag 1996.
- Lehrbriefe für den Tauchsport: Sonderbrevets, 00006, ISBN 3-89594-032-1
- Ch. Plafki: Tauchmedizin in der Praxis. Eigenverlag 1998.
Dr. med. Christian Plafki
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